Es gibt Tage …

… an denen muss man Abscheu und Angewidertsein einfach in die Tasten hacken: Weil manche Berichte über Angriffe auf Journalisten und insbesondere Fotografen der berühmte »Tropfen zuviel« sind. Ein Kollege in Berlin, dessen Porträt auf Plakaten und Facebook-Seiten rechter Gruppierungen auftaucht – und dessen Auto kurz darauf abgefackelt wird. Ein anderer Kollege, der am Rande der Legida-Demonstration angegriffen wird – und dessen Kameraausrüstung zerstört wird. Ein Foto, entstanden während der Demonstration, zeigt eine regelrechte Jagdszene. Keine Einzelfälle, schon länger nicht mehr; dennoch im Kontext der »Lügen-Presse«-Debatten und des weit verbreiteten Journalisten-Bashings Symptom eines Klimas, das mir viele vergrabene Erinnerungen zurückbringt.

Berlin, 1987/88: Damals unterwegs als Bildjournalistin, mit den ersten Jobs während und nach der Ausbildung. In der Hausbesetzer-Szene, bei Demonstrationen, die sich hochschaukelten. Übergriffe von linksautonomen Gruppen und Vertretern des »Schwarzen Blocks«, auf Polizei und Fotografen. Nur knapp hat mich seinerzeit ein vom Dach geworfener Molotow-Cocktail verfehlt, der eigentlich einem Polizisten galt. Pflastersteine von Demonstranten, auf Polizisten und Fotografen. Polizisten, die mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfen gegen Demonstranten vorgehen. Bildjournalisten? Entweder bedauerliche Kollateralschäden oder ebenso im Visier der Ordnungshüter: Filme und Kameras waren begehrt, ob bei Demonstranten oder Polizei, zerstören oder beschlagnahmen zwecks Beweissicherung. Noch heute sind manche Straßen in Kreuzberg, die längst bunt und fröhlich sind, Orte, die ich ungern besuche. Wegen der Bilder im Kopf, die ich mit mir trage.

In den 90er Jahren: Vier Jahre regelmäßig unterwegs in Paris, mit Musikern und Künstlern aus Barbès und der Goutte d’Or. Um die Ecke Übergriffe der französischen Polizei, die ganze Häuserblocks abriegeln, die Bewohner auf die Straße trieben, mit Schlagstöcken und Kampfanzügen, schwerst bewaffnet. Auf der Suche nach illegalen Einwandern, nach den »Sans Papiers«, die in der Kirche St. Bernard um die Ecke Zuflucht suchten, mit Alten und Kindern dort wochenlang ausharrten. Ebenso regelmäßig, bei fast jedem meiner Besuche in der Stadt: nächtliche Straßenkontrollen, weil eine Gruppe afrikanischer, amerikanischer Musiker schwarzer Hautfarbe in Begleitung einer einzigen europäischen Frau mit heller Haut und blonden Haaren offenbar Aufmerksamkeit erregt. »Salope«, Schlampe, »putain de nègre«, »Negerhure« – aus dem Mund französischer Polizisten, die auf alle Fragen nach dem Vorgesetzten, einer Dienstnummer bestenfalls mit hämischem Grinsen und der Antwort: »j’ai oublié«, »hab ich vergessen« reagierten. Wenn überhaupt. Ein mehr als merkwürdiges Gefühl, kürzlich in Paris (kurz vor den Anschlägen) beim Verlassen der Métro in eine bis an die Zähne bewaffnete Polizeikontrolle zu geraten.

Ebenfalls in den 90er Jahren: Unterwegs als Bildjournalistin, bei Demonstrationen gegen Rechtsextreme, Nazi-Müller und andere. Während der Demonstrationen teilweise tieffliegende Steine, aus den Reihen der Antifa-Demonstranten ebenso wie von Neonazis. Gerempel, Geschubse, tätliche Angriffe, gezielte Schläge und Übergriffe von allen. Auch von der Polizei, die nur allzu gerne bereit war, Fotografen entweder der Eskalation zu bezichtigen, sie mit Schlagstöcken und körperlichem Einsatz aus dem Weg zu räumen oder Kameras und Filmmaterial zu beschlagnahmen. Beweissicherung. Für die Kameras und Filme der demonstrierenden Rechten interessierte sich die Polizei damals nicht. Kurze Zeit später, nicht erst nach Veröffentlichung meiner ersten Fotos von solchen Ereignissen: Nächtlicher Telefonterror im Minutentakt. Wahlweise mit Beschimpfungen, Drohungen, Schweigen. Damals weder mit der Möglichkeit, Nummern auf Displays zu erkennen noch einer Telefonanlage, die bei fehlender Anrufkennung solche Telefonate direkt ins Digital-Nirvana schickt. Zwei Kameras mit Objektiven – Totalschaden. Persönliche Bilanz: Mehrfach üble Prellungen, Risswunden, Nasenbluten, eine ausgekugelte Schulter.

Zerstochene Reifen, eingeschlagene Scheiben am Auto, über Monate, immer wieder. Begleitet von Drohbriefen, zum Teil persönlich in meinen Briefkasten geworfen, zusammen mit Hundescheiße, Theaterblut und einer toten Ratte. Die unsichtbare Unterschrift: »Wir wissen, wo Du wohnst…« Einige Male gelockerte Schrauben an den Rädern meines Autos, die in einem Fall dazu führten, dass ich im Straßengraben landete. Das Auto war hinterher Totalschaden, außer einem Halswirbel-Schleuder-Trauma ist mir glücklicherweise nichts passiert. Irgendwann, nach Monaten, ist wieder Ruhe eingekehrt. Vergessen habe ich all das nicht, nur gut wegsortiert in eine Abstellkammer des Gedächtnisses: Berufserfahrungen, die man von Zeit zu Zeit macht und mit denen man nicht nur einen Umgang finden, sondern auch irgendwann abschließen muss.

Und heute? Morgenlektüre aus Leipzig und anderswo, eine Mischung aus Wut, Fassungslosigkeit und Ekel, ein paar Flashbacks in Erfahrungen, die jahrelang zurückliegen und von denen ich dachte, dass sie sich in dieser Form hoffentlich nicht wiederholen.

»Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte.«
(Max Liebermann beim Betrachten des Fackelzugs zu Adolf Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933)

Weiterführende Links:

»In einem Live-Ticker berichtete die „Leipziger Volkszeitung“, 50 Angreifer aus dem Legida-Block hätten sich auf die vor dem Demonstrationszug laufenden Presseleute gestürzt. Ein Fotograf sei zu Boden getreten, seine Kamera-Ausrüstung zerstört worden. Laut dem Bericht unterband die Polizei die Angriffe zunächst nicht. Es seien weder Personalien der Angreifer festgestellt, noch Spuren gesichert worden.«
»Legida-Demo in Leipzig: Randalierer verletzen Polizisten und Journalisten« (SpOn, 22.1.2015)

Update 4.2.2015

Und wenn man denkt, dass es nicht mehr ekelhafter geht, wird man eines Besseren belehrt: Am 2.2. erhielten mehrere Kollegen aus dem Ruhrgebiet Todesdrohungen – in Form von Todesanzeigen und Drohbriefen, zum Teil über die sozialen Netzwerke verbreitet. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft.  »Psychoterror von Neo-Nazis« (WDR, 3.2.2015, weitere Links im Text)
»Todesanzeigen von Journalisten: Der Angriff auf die Lügen-Presse« (Tagesschau, 4.2.2015)
»„Das ist ein Zeichen der Schwäche“—Neonazis bedrohen Journalisten mit dem Tod« (Vice, 4.1.2015)

Update, 8.8.2015

Oh ja, es geht in der Tat noch ekelhafter, das belegt eine Morgenlektüre der üblen Art. Sie macht mich fassungslos. Und wütend. Und kotzt mich an. Weil dieser Satz leider so wahr ist: »Durch die Verbreitung von Angst und Schrecken, die ganz normale Bürger davon abhalten, sich gegen ihn zu wenden.« schreibt Heinrich Schmitz, ehemals Autor bei »The European«. (Hier geht es zum Text)

»Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert.«, um es mit Wolfgang Niedecken zu sagen.