La Cucaracha, kretische Art

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Ausflüge in die Marktstraße von Iraklion auf Kreta sind immer wieder ein empfehlenswertes Erlebnis. Vielleicht weniger für zart besaitete Zeitgenossen, eher für Neugierige, Fotografen und Entdeckungslustige. Denn zwischen liebevoll dekorierten Schweinsköpfen, drumherum drapierten Ringelschwänzchen, Hufen und Schweineohren hängen fachmännisch gehäutete Kaninchen. Sicherheitshalber verbleiben Fellohren und Puschelschwanz an den frisch geschlachteten Tieren, das ist ein rustikales Signal derjenigen Metzger, die auf sich halten und damit klar machen: bei der angebotenen Ware handelt es sich nicht etwa um Katzen oder Hunde, die »nackt« für den Laien nicht mehr von Kaninchen zu unterscheiden sind. Das behauptete jedenfalls Kostas, der kleine dürre Schlachter um die Ecke – und legte sorgfältig ein paar frische Ringelschwänze um den Schweinekopf. Dezentes Räuspern hinter mir: Mein Reisebegleiter war nicht annähernd so amüsiert oder interessiert wie ich, journalistische Neugier hin oder her.

 

Von Freunden mieteten wir damals ein kleines Häuschen in der Altstadt von Iraklion. Jenseits aller Touristenströme, umgeben von kretischen Nachbarn, verbrachten wir viele Urlaubstage in der trubeligen Gegend. Vertrieben uns die Zeit mit deutsch-griechischen Palavern, ergänzt durch Hände und Füße: mit den kretischen Nachbarn, über das Wetter, die Politik, Pasok, Papandreou und Mimi, dessen seinerzeitiges frisch angetrautes Busenwunder. Damals lernten wir auch Kostas und seine bessere Hälfte Dimitra kennen, die ihren Mann nicht nur um mindestens zwei Haupteslängen überragte, sondern auch ungefähr viermal so stattlich war wie Kostas. Damals, als wir eigentlich nur ein paar Lammkoteletts zum Abendessen kaufen wollten. Ein wenig Abenteuerurlaub – zumindest für den Stadtmenschen in meiner Begleitung – war auch das. Dimitra öffnete den Kühlraum, verschwand in dessen dunklen Tiefen und kehrte mit einem halben Tier zurück. Hob es am Schwanz in die Höhe und stutzte: Kein Lamm, eine Ziege, daneben gegriffen. Zurück in den Kühlraum, nächster Versuch. Mit Schwung warf sie das halbe Lamm auf den Hackklotz. Meterdickes bestes Olivenholz, seit Dekaden in Gebrauch, zerfurcht von den Kerben des Metzgerbeils, mit dem Dimitra nun begann, blitzgeschwind und treffsicher das Lamm zu zerlegen.

 

Hinter mir erneut leises, wiederholtes Räuspern. »Ich glaube, ich geh mal kurz vor die Tür« raunte der Reisebegleiter, tupfte sich den Schweiß von der Stirn und flüchtete. Dimitra blickte nur kurz auf, runzelte fragend die Stirn: »Ist der krank?« Auf mein freundliches Kopfschütteln folgte promptes Achselzucken. »Männer!« schnaufte die stattliche Metzgersgattin, tippte sich vielsagend an die Stirn, begleitet von den dumpfen Schlägen ihres Metzgerbeils und dem leisen Knirschen der Lammknochen. Ein paar Minuten später im Häuschen saß der Begleiter bereits erwartungsvoll auf der Terrasse. »Hoffentlich ist kein Finger von ihr zwischen die Koteletts geraten!« Diesmal räusperte ich mich vernehmlich. Treffsicher war Kyria Dimitra allemal, kein Grund zur Sorge also, im Paket waren tatsächlich nur Lammstücke. Gegrillt, mit ein wenig frischem Rosmarin vom Strauch im Hof, grobem Meersalz und einem Spritzer Zitronensaft: Genuss auf kretische Art. Auch für die Katzensippe, die sich in der Zwischenzeit um uns versammelt hatte und getösig maunzend um ein paar Fleischbröckchen raufte.

 

Plötzlich stutzte mein Reisebegleiter, beugte sich vor, beäugte misstrauisch eine der handgroßen Winzigkatzen. »Was hat der kleine Kerl denn im Schnäuzchen?« Ein kurzer Blickwechsel, genauere Betrachtung des kleinen Räubers, dann dämmerte uns die Erkenntnis: Die Beute bestand aus einer fingerlangen, ausgewachsenen Küchenschabe. Leises Maunzen, Knirschen, Knacken und Schmatzen. Dann spuckte der kleine Kater in hohem Bogen ein paar Insektenbeine und Chitin-Stückchen aus, offenbar zu zäh zum Fressen, und eine beträchtliche Menge einer schleimigen, undefinierbaren Substanz, Reste des Kakerlakenkörper-Inhalts. Der Begleiter stürzte würgend ins Häuschen, ich hinterher in die Küche, auf der Suche nach Besen, Schaufel und Wasserflasche. Kostas und Dimitra, verwundert und besorgt über unser schrilles »Pfui Deibel« und »Igitt«, kamen übrigens wenig später auch vorbei, um bei ihren unter lauter Kretern eher exotischen Touristen »apo Germanija« nach dem Rechten zu schauen. Kostas hatte eine weitere, wie auf Kreta üblich zweckentfremdete 1,5l-Plastikflasche unter den Arm geklemmt, die er uns freundlich lächelnd auf den Tisch stellte: Statt mit Wasser mit bestem Raki gefüllt, frisch aus der Destille gegenüber. Alkohol desinfiziert…