Ein Schwarzweiß-Foto, entstanden in der ehemaligen DDR, in den frühen 80er Jahren von Harald Hausmann aufgenommen: Ein Zufallsfund im Netz, der mich an so vieles erinnert. Zwei ältere Damen betrachten die Auslage in einem kleinen Schaufenster. Die eine kniet auf der Fensterbrüstung, hält sich am Fensterrahmen und an ihrer Begleiterin fest, um einen näheren Blick zu werfen: Ein Porzellan-Service in einem Fachgeschäft, das war in dieser Zeit ein Luxus. Unerschwinglich fast – und wenn nicht, dann doch mit längerem Sparen verbunden, mit Überlegungen, ob man die Teile nachkaufen könnte. Nach der Anschaffung auch verbunden mit Sorgfalt, »das gute Geschirr« kam nur Sonntags auf den Tisch oder für geschätzte Gäste. Für alles andere gab’s die Kaffeepötte mit den kleinen Macken am Rand, für den Alltag, so wie die Teller, denen man den häufigen Gebrauch ansah und die oft nicht zueinander passten.
Das Foto erinnert mich auch an Zeiten, in denen so manches anders war, nicht alles jederzeit und überall verfügbar, Geschirr, Bestecks, andere Haushaltsgegenstände, Möbel und Einrichtung waren nur selten modischen Trends unterworfen, sondern eine »Anschaffung fürs Leben« und sollten das auch sein. Solide gearbeitet, unkaputtbar sozusagen, im Frühjahrsputz mit farblich abgestimmter Möbelpolitur auf Vordermann gebracht, regelmäßig abgestaubt oder poliert – und manchmal so liebevoll wie geschmacklich zweifelhaft mit Überwürfen, Armlehnenschonern oder Spitzendeckchen vor Verschleiß geschützt.
Zeiten, in denen man die Eingangstür von Mietshäusern knarrend öffnete und über das ewig klemmende Schloß fluchte; schwergängig in quietschenden Türachseln gaben sie den Blick frei in ein Treppenhaus mit knarzenden Stufen, mit Linoleumbelag und Kacheln hinter dem Eingang. Den Geruch habe ich bis heute im olfaktorischen Gedächtnis: eine Mischung aus Essensgerüchen, oft Kohlen- oder Ölheizung in den einzelnen Wohnungen, nach Bohnerwachs, frisch gewaschener Wäsche und vielen Menschen. Es war düster in diesen Treppenhäusern und Hausfluren, auf halbem Treppenabsatz befanden sich oft die ungeheizten, zugigen Toiletten des nächsten Geschosses; am vor Dreck erblindeten Fenster standen zerraufte Grünlilien oder Kakteen, an deren Stacheln Legionen von Fliegen gelangweilt Selbstmord begingen. Weiter oben neben der Wohnungstür dann verschiedene Schuhpaare, eine Kiste für Kohlebriketts, ein leicht müffelnder emaillierter Mülleimer mit Deckel.
Namen wie »Latscha«, »Konsum«, »Vivo« für kleinere Lebensmittelläden waren gebräuchlich, im Vergleich mit dem Tante-Emma-Laden direkt um die Ecke waren das seinerzeit Supermärkte, die bei weitem nicht die Größe heutiger, Flugzeughangar-artigen Großmärkte hatten. Die VEBs »Flewu« (Fleisch- und Wurstwaren in Dessau) oder »Plüti« (Plüschtiere), merkwürdige Materialien wie Dederon, »Plaste und Elaste Zschkopau«, die Textilien und anderen Waren aus den Intershops der ehemaligen DDR: Alles sündteuer, nicht für jeden erschwinglich. Erinnerungen an diese Zeiten mögen mit historischer Distanz amüsant klingen, waren und sind allerdings nicht wirklich lustig. So ähnlich wie die großen Clowns der Geschichte, Charlie Rivel oder Grock, in deren Humor immer versteckte Melancholie und Traurigkeit verborgen war. So wie in Harald Hausmanns beobachtetem Augenblick, der mich heute zum Schmunzeln bringt; aufgrund seiner Geschichte und meinen eigenen Erinnerungen an die Entstehungszeit des Fotos betrachte ich es eher – wie die Berliner sagen – »mit einer Träne im Knopfloch«.
Die Ausstellung »Ausblick« in der Fotogalerie Friedrichshain, die ihr 40jähriges Jubiläum feiert, wird am 14.8.25, 19 Uhr eröffnet und läuft bis zum 2.10.2025 – mehr Informationen hier.