Und Mozart kugelt sich….

Caféhaus ©HeikeRost.com Alle Rechte vorbehalten. Einer der feinsten Plätze zum Sinnieren ist das Salzburger Café Tomaselli am Alten Markt. Mittlerweile in der fünften Generation Familienbetrieb, ist das ehrwürdige Haus trotz der vielen Touristen ein bemerkenswert unterhaltsamer Ort. Auf charmante Weise der Zeit entrückt, wie ein Eingangstor zu einer anderen Welt: Nonchalante Herren im schwarzen Kellnerfrack nehmen mit würdevoller Miene auch die absurdesten Bestellungen der Gäste entgegen. Werden respektvoll mit »Herr Ober« oder auch mit Namen angesprochen. Ebenso wenig wie sich die Stammgäste den Befrackten gegenüber jemals im Ton vergreifen und unhöflich würden, geraten die Fliegen des schwarzbefrackten Geschwaders außer Façon. Dessen Gesichtszüge lassen niemals auch nur den Hauch einer persönlichen Meinung über Gäste und deren Benehmen erahnen. Überhaupt sind die Herren die personifizierte Diskretion, überblicken gebieterisch den Trubel in den Räumen und auf den Terrassen, währenddessen die Kuchendamen Tabletts voller süßer Leckereien schultern und von Tisch zu Tisch tragen. „Darf’s etwas Süßes sein zum Kaffee?“ Verschwenderisch üppige Nockerlntorten, Erdbeertörtchen und Blätterteiggebäckstücke prangen auf blankpoliertem Silber, jede einzelne Leckerei ist in schäumende Papierspitze drapiert, die so weiß ist wie die adretten Schürzen und Häubchen der Kuchendamen. Noch blühen die Geranien am Balkon üppig, dort flattern Taubenschwänzchen umher. Die Oktobersonne fühlt sich warmgolden an, auf dem Platz und im Gesicht.

Schräg gegenüber vom Tomaselli wird mit Akribie umdekoriert. Säuberlich geschichtete Mozartkugeln in Varianten und Stapeln, mit silbernblauem Stanniol umhüllt bei Fürstner, der die Praline erfunden haben soll. Zartbitter, nicht ganz so süß wie nebenan bei Holzermayr, dessen Rezept mehr Marzipan statt Nougat enthält. Ein ganz eigenes Vergnügen sind diese Beobachtungen im Kaffeehaus. Exquisite, heitere, manchmal ein wenig traurige Geschichten erspüren und erdenken, die beflügelt sind von beringten Händen mit Altersflecken, Runzeln und rotlackierten Fingernägeln, mit straßbebrillten Gesichtern, Falten und grauen Haaren unter wagenradgroßen Hüten. Die unermüdlichen Herren Ober servieren derweil, auf winzigen silbernen Tabletts mit Schriftzug; Einspänner, Melange oder Schokolade mit Schlag, immer mit kleinen Wassergläsern. Das ist Kaffeehauskultur zwischen Müßiggang und Arbeit,  das  tänzelt quasi daher, schwebt luftiger, leichter, lustvoller und auf geheimnisvolle Art beschwingter vom Kopf in die Tasten oder wandert ins Notizbuch. Ältere Damen mit sorgfältig manikürten Händen sitzen an kleinen Tischen, mit Mokkatassen und Kuchenteller, beim Umrühren klingeln Löffelchen in der Tasse; nebendran kichern Studentinnen, die mit den Bauarbeitern auf dem Platz schäkern und Zeitung lesende Herren versinken in Gedanken, Lektüre und Zigarre. Dann und wann schwebt ein Rauchkringel gen Balustrade und verweht.

So mancher Schriftsteller – oder der sich dafür hält – hat seinen Stammplatz, die eigene Postadresse im Kaffeehaus inbegriffen. Allerdings ändern sich die Zeiten; manchmal gehört heutzutage auch eine eigens installierte Steckdose für das Notebook dazu. Drinnen und draußen schlendern Fußgänger vorbei, ein stetiges, nicht abreißendes Gewusel in sinnlicher Gemächlichkeit. Ein paar Tische weiter, jenseits der schokoladenen Mozartkugeln, prangt eine jugendliche Besucherin des Kaffeehauses in all ihrer prallen Üppigkeit. Schnuteziehend sorgt das Vollweib für irritiertes Innehalten, staunende Blicke schweifen über das Dekolleté, das genau den einen, winzigen Hauch zu tief ist, um noch elegant zu sein. Hingerissenes Schweigen bei Gästen und Passanten, Geflüster an den Nachbartischen, die hochgezogene Braue der drallen Blondine lässt einen schlaksigen Jüngling jäh erröten. Allein der schöne Herr Svoboda im schwarzen Kellnerfrack bleibt würdevoll, ernst und völlig ungerührt. Ihm verrutschen weder Fliege noch Gesichtszüge, angesichts dieser anderen, nicht minder interessanten Mozartkugeln, die zu einer anderen Zeit selbst den sinnenfreudigen Wolfgang Amadé hätten schwelgen und schwärmen lassen.