Pastis Breton

Ein hinreißender Ort wäre das alte Generalshaus in der Bretagne gewesen; für einen Krimi, ein Psychodrama oder einen Film mit rabenschwarzem Humor. Damals, als ich dort einen Freund besuchte, verwitterte das Gemäuer hinter hohen alten Hecken still vor sich hin. Die Mauern umwuchert von fast mannshohen Hortensienbüschen aller Farben, deren üppige Blütendolden in der Sonne leuchteten. In einem winzigen Ort im Finisterre gelegen, jenem windumwehten, äußersten Westzipfel der Grande Nation, wo sich nicht einmal mehr Hase und Fuchs Gute Nacht sagen und gelegentlich ein U-Boot im Meer vorbeidümpelt.

Vor allem die Küche der Villa war beeindruckend; ihre Ausstattung mit gusseisernen, von jahrzehntelangem Gebrauch ausgeglühten Brätern und Pfannen verriet die Vorliebe der ehemaligen Bewohner für genussvolle Kochexperimente. Einer Vielzahl exzellenter Geräte und Messer fanden wir dort in Schubladen und Kästen vor und setzten die Tradition des Hauses gemeinsam fort: Mit Henris wunderbarem Muschelrisotto, phantasievollen Kreationen aus frisch gefangenem Fisch, knusprigem Baguette und starkem, schwarzen Kaffee zum späten Frühstück. Henri hatte dort einige merkwürdige Besucher um sich geschart, deren Geschichten ein aberwitziges Kaleidoskop voller Wirrwarr und Verwicklungen zwischen unglücklicher Liebe, Eifersüchteleien und zerplatzten Träumen boten. (mehr …)

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Zbigniew, das Hähnchen

Oft genug bot sein Name Anlass für Spötteleien: Freundlich „Hähnchen“, unhöflicher schon „Gockel“, ganz und gar unfreundliche Menschen übersetzten »Kurczak« in noch gröberer Weise. Kein freundlicher, sondern ein knurriger Rentner in Neukölln, mit polnischen Wurzeln, das war Zbigniew, kurz nach dem Krieg in Berlin gestrandet, dort hat er neue Wurzeln geschlagen – und ist geblieben, in dem großen alten Haus, das den Krieg fast unbeschadet überlebte, um in den Jahren danach langsam vor sich hin zu rotten. Das »Hähnchen« war dort Hausmeister, mit bulliger Statur, meist schlecht gelaunt und immer übersprudelnd von Geschichten: Aus dem Krieg, von seiner Zeit als Jagdflieger, dem Leben zwischen den Ruinen der zerbombten Stadt. Täglich kehrte er das Trottoir vor dem Haus, zwischen einzelnen Besenschwüngen blickte er versonnen vor sich hin. „Ach …!“ Ein gebrummelter Frauenname flatterte durch die Luft, immer wieder ein anderer, dann beredtes Schweigen, ein tiefer Zug am Stumpen Marke „Deutsche Jagd“. Eine Rauchwolke malte stinkende Kringel in die Luft. Der Besen kratzte wieder in gleichmäßigem Takt über das Pflaster, Zbigniew klemmte energisch den Stumpen in den Mundwinkel, das Echo seiner tappenden Schritte hallte im Hausflur.

In regelmäßigen Abständen war er in der Kneipe gegenüber zu Gast. „Das größte Schnitzel von Berlin!“ prangte in Kreideschrift auf einer Tafel am Fenster, „Zehn Buletten für 5 Mark!“ auf einem anderen Schild ein Fenster weiter. „Molle und Korn zweefuffzich!“ dröhnte der stämmige Wirt, wenn er dem Hähnchen das frisch gezapfte Glas auf den Tisch knallte. Stunde um Stunde saß Zbigniew dort, manchmal in Sonntagskleidung mit Anzug, gestärktem Hemd und Krawatte, das schüttere Haar sorgfältig mit Frisiercreme und Haarspray in Form gebracht, eingehüllt in eine Dunstwolke billigen Rasierwassers. Meist einsam und in sich versunken, ab und an eingekeilt zwischen späten Gästen, selten in weiblicher Begleitung, Frauen mit freudlosem Lächeln in einem verblühten Gesicht, mit üppigem Dekolleté, blondierter Dauerwelle und Sonnenbankbräune. Mit schrillem Lachen, zuviel Talmi-Schmuck an Händen, Ohren und um den Hals. Immer schwadronierte das Hähnchen lautstark in deutsch-polnischem Wortschwall, bei zunehmender Trunkenheit lauter, zorniger und unverständlicher. (mehr …)

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Die fidelen Fräuleins von Freiburg

Es ist Jahre her, dass ich die beiden Damen kennen lernen durfte: Johanna und ihre Zwillingsschwester Ruth, Freundinnen meiner preußischen Großmutter. Belesen, klug, lebenserfahren, voller Heiterkeit und Weisheit alle beide. Nach Jugend- und Kriegsjahren in Berlin verschlug es sie ins Süddeutsche. Nach Freiburg, in die Stadt mit dem Münster, von dessen Turm man bei schönem Wetter einen grandiosen Rundblick hat, vom Schwarzwald auf der einen Seite, übers Rheintal bis zu den Vogesen auf der anderen Seite. Manches Mal habe ich sie dort besucht, in der Altbauwohnung mit den hohen, lichten Räumen. Eine überaus fidele Wohngemeinschaft zweier älterer Damen mit liebenswerten Erinnerungen an die Bücherstapel überall.

Bibliothekarin die eine, Verwaltungsrätin die andere, schon von Berufs wegen haben Johanna, genannt Hannchen, und Ruth viel gelesen. Eine bunte Mischung aus Fachliteratur, Belletristik, klassischer Literatur, Zeitschriften und Zeitungen pflasterte die Wohnung; Verteilt nicht nur in Regalen, sondern auf Fensterbrettern, Tischen, Stühlen. Kein Schritt ohne Ermahnung an Besucher, die kurzerhand eine Sitzgelegenheit für sich freiräumen wollten: „Haaaaaalt!!! Auf den Stuhl kannst Du Dich nicht setzen, den Stapel muss ich noch lesen!“. Aus dem Hintergrund kam Ruths Echo: „Moment! Ich mach Dir gleich Platz!“ – auf dem großen Sofa, das so herrlich zum Hineinfläzen und Schmökern einlud, weil der Großteil der Chaiselongue mit Lektüre aller Art übersät war. Auf dem Kopfkissen des großen Betts im Gästezimmer eine Praline vom Chocolatier in Freiburg, dazu eine kleine Auswahl von Artikeln und Büchern für die nächtliche Lektüre des Gastes. (mehr …)

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Taxi Karascho – Russendisko auf vier Rädern

Jurij schob seine abgewetzte Kappe tiefer ins Gesicht. „Oleg…,“ nuschelte er dann bedächtig, „Oleg, das ist ein anderes Kapitel.“ Jurijs bester Freund verdient seine Brötchen damit, dass er Berlin-Besucher im Taxi durch die Stadt fährt. Oft auf kurzen Strecken, von den Bahnhöfen zu Hotels, von dort zum Flughafen. Manchmal und immer öfter kutschiert er Touristen länger herum, gelegentlich sogar den ganzen Tag. Er kennt sich aus, mit Schuhläden, Nobelrestaurants und bei Bedarf auch mit zweifelhaften Spelunken. Und wenn Oleg erzählt, ist er nicht nur jeden Euro des ausgehandelten Fahrpreises wert. Es hört sich an, als wäre seine Stimme irgendwo zwischen Wodka, Papyrossi und Reisszwecken auf die Walz im hintersten Ural gegangen. Ihn, sein Taxi und seine Fahrkünste habe ich kürzlich kennen gelernt. Fragen Sie nicht. Oleg ist ein anderes Kapitel – und mit ihm durch Berlin zu stromern, ist ein Abenteuer für sich. Und schon gar nichts für empfindliche Gemüter … (mehr …)

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